X. Militärische Rechtspflege im „königlichen” Ungarn im 16.–17. Jahrhundert (Zusammenfassung)

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313X. Militärische Rechtspflege im „königlichen”
Ungarn im 16.–17. Jahrhundert
(Zusammenfassung)
Nachdem Ofen (Buda), das Zentrum des ungarischen Königstums im Mittelalter, 1541 von den Türken erobert worden war, sah sich die Militärleitung in Wien gezwungen, ein neues Verteidigungssystem auszubauen, um die unter königlicher Oberhoheit stehenden Gebiete des in drei Teile gerissenen Landes und nicht zuletzt die Kaiserstadt Wien zu verteidigen. Obwohl das neue Grenzfestungssystem, das sich unter der Leitung des Wiener Hofkriegsrates entwickelte, in mancher Hinsicht als Nachfolger der früheren Verteidigungslinie an der Südgrenze des Landes betrachtet werden kann, übten die parallel zu dem Ausbau und infolge dessen auftretenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen einen determinie-renden Einfluß auf die spätere geschichtliche Entwicklung Ungarns aus, als die früheren Veränderungen in den südlichen Grenzgebieten. Das Festungssystem zur Türkenabwehr entstand in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht an den Grenzen des mittelalterlichen ungarischen Staates, sondern im Inneren des Landes. Die Erhaltungskosten, die sich auf mehrer hunderttausend Gulden beliefen, konnten von den ständig schrumpfenden königlichen Gebieten nicht mal bis zur Hälfte gedeckt werden. Das läßt sich einerseits damit erklären, daß das neue Verteidigungssystem mindestens zum Teil den neuen und teueren Erforderungen entsprechen mußte, die ihm gegenüber in der europäischen Geschichtsschreibung militärische Revolution genannte Entwicklung seit der Mitte des 16. Jahrhunderts stellte. Daß die militäri-schen Reformen auch auf dem ungarischen Kriegsschauplatz vorzufinden waren, ist den Tatsachen zu verdanken, daß das neue Verteidigungssystem aus Wien geleitet wurde, daß die vom Hofkriegsrat für die wichtigsten gehaltenen Grenzfestungen mit fremden Söldnern besetzt und aus ausländischen Geldhilfen (Türkenhilfe) finanziert bzw. fortifiziert wurden. Obwohl die wichtigsten Charakterzüge der militärischen Revolution infolge der Arbeit der Wiener Militärleitung auch auf dem Gebiet des „königlichen” Ungarns nachweisbar sind, ging die militärische Entwicklung in Ungarn im 16.–17. Jahrhundert spezielle, eigene Wege. Diesen besonderen Weg ent-lang geht der Forscher der frühen Neuzeit und kann die einzelnen Etappen kennen-lernen, wenn er die Militärjustiz im „königlichen” Ungarn der Türkenzeit mit der europäischen Entwicklung vergleichend untersucht.
Die militärische Gerichtsbarkeit der in den ungarischen Grenzfestungen Dienst leistenden oder nur für je einen Feldzug angeworbenen fremden (vor allem deutschen) Soldaten wich von der des ungarischen Soldatentums der Grenzfestungen bedeutend ab, obwohl sie einiges miteinander gemeinsam haben, was auf den Einfluß der ersteren auf die letztere zurückgeführt werden kann. Der Grund für den Unterschied muß in der Entwicklung, Funktion und in erster Linie im Grundcharakter der zwei voneinander unabhängigen Soldatenschichten gesucht werden. Aus historischer Perspektive gesehen bestimmten die oben genannten Faktoren die Entwicklung der militärischen Rechtspflege, die Rechtspraxis und nicht in letzter Linie die Entstehung 314der Felddienstordnungen und Artikelbriefen, die zur Rechtsgrundsätzen der Urteils-fällung wurden.
Die deutschen Fußknecht, die seit der Herrschaft von Ferdinand I. in immer größerer Anzahl nach Ungarn kamen, verfügten schon über einen fast stabilen Militärjustizapparat und eine gute Rechtspraxis. Charakteristisch für die infolge der Reformen von Maximilian I. entstandenen Landsknechte war – es ist besonders bei der Untersuchung der Militärgerichtsbarkeit in Ungarn von großer Wichtigkeit –, daß sie aus den Reihen der für den Felddienst im Ausland angeworbenen Soldaten kamen, die von den kriegerischen Verhältnissen der Zeit Gebrauch machten und als Söldner sich ihren Lebensunterhalt verdienten. Das bedeutet, daß sie für kürzere oder längere Zeit in den Dienst je eines Regimentsobersten traten und in Feldlagern der europäischen Kriegsschauplätzen lebten, um ihr tägliches Brot zu verdienen. Da sie angeworben waren, mußten sie nur ihrem Anwerber, der gleichzeitig ihr Komman-dant, ihr Oberst war, bzw. dem Herrscher, der diesen beauftragt hat, gehorchen. Als sie angeworben waren, legten sie einen Eid auf ihre Kriegsordnung, auf den soge-nannten Artikelbrief ab. Laut dessen verfügte ihr Oberst über unbegrenzte Gerichtsbarkeit. Er war also Herr über Leben und Tod. Bei der Rechtsprechung bekam er Hilfe von einem Gerichtsstab, der sich allmählich entwickelte und sich immer fester behauptete, und im Namen seines Herren anhand des oben erwähnten Artikelbriefes Urteile fällte.
Unter der Regierung von Maximiliam I. bekamen infolge der Entwicklung in den vergangenen Jahrhunderten sowohl die Artikelbriefe, die als Rechtsgrundsätze dienten, als auch das Gerichtswesen eine einheitliche Form. Die Disziplin der Söldner, die seit Beginn des 16. Jahrhunderts immer bedeutendere Rolle bekamen, konnte in den immer längeren Kriegszügen nur noch durch die Erlassung der Feld- und Kriegsordnungen gesichert werden, die die Pflichten und die Bestrafung des sich irgendeines Vergehens schuldig gemachten Söldners für die Zeit des Feldzuges bestimmten. Beim Antreten des Dienstes hatten sich die Söldner mit einem Eid betreuert, die Feldkriegsordnung einzuhalten; sollten sie aber ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, so hat ihr Kommandant, der ihr Anwerber war und zu dessen Kompetenz dadurch die militärische Gerichtsbarkeit gehörte, das Recht anhand der Feldkriegsordnung Gericht über sie zu halten. Der Weg zum Erlassen des einheit-lichen Artikelbriefes für das Fußvolk des Deutschen Reiches auf dem Reichstag zu Speyer vom Jahre 1570 führte von der bedeutenden Feldordnung des Kaisers Friedrich Barbarossa I. vom Jahre 1158 über die Söldnerverträge und Kriegsordnun-gen der deutschen Städte und die berühmten Dienstordnungen der Schweizer und Hussiten-Fußknechte.
Das mit dem Namen von Lazarus von Schwendi verbundene, 1570 erlassene „Articul auf die Teutsche FußKnechte” wurde nicht nur von den militärischen Beschlüssen des Reichstages, sondern auch durch die Heeresreformen des Kaisers Maximilian I. vorbereitet. Um die Disziplin der von ihm ins Leben gerufenen Landsknechte zu sichern, mußten die früheren Feld- und Kriegsordnungen durch allgemeinere, neue Dienstordnungen abgelöst werden. Diese wurden Artikelbriefe genannt, auf derer Einhaltung die deutschen Landsknechte bei ihrer Musterung einen Eid geleistet haben, dessen Text in diesen Artikelbriefen auch beinhaltet war. So 315wurden die Artikelbriefe Anfang des 16. Jahrhunderts zu Dienstordnungen der Landsknechte, und dadurch zu Rechtsgrundsätzen bei den Gerichtsverfahren gegen die schuldigen Soldaten. Die häufigen Feldzüge in der ersten Hälfte des Jahrhunderts trugen bedeutend dazu bei, daß sich die Artikelbriefe vervollkommneten. Infolge dessen konnte Maximilian II. am 21. Mai 1566 in Wien den deutschen Lands-knechten, die Süleiman dem Prächtigen entgegen nach Raab (Győr) zogen, eine solche Ordnung geben, die beim vier Jahre später genehmigten allgemeinen Artikel-brief als Muster diente.
Die Unterstützung der Reichsstände bedeutete nicht, daß man im weiteren keine neueren, den örtlichen Umständen besser entsprechenden Artikelbriefe nötig gehabt hätte, trotzdem trug sie zur Verbreitung der 74 Schwendi-Artikel bei. Im Druck erschienen sie das erste Mal 1571 – in den nachkommenden Jahren des 16. Jahr-hunderts dann mehrmals – so konnte der Artikelbrief die Rolle eines „Kriegsgesetz-buches” einnehmen. Auf seine Lebensfähigkeit und Bedeutung weist die Tatsache hin, daß die zwei großen Kriege der Zeit, der Lange Türkenkrieg (1593–1606) und der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) trotz der inzwischen erfolgten Entwicklung des Heerwesens nur kleinere Veränderungen verursachten. Seine Funktion wurde schließlich 1673 von der von Leopold I. für das ganze kaiserliche Heer heraus-gegebenen und aus 60 Artikeln bestehenden Kriegsordnung (die sogenannte Kriegs-artikel) übernommen.
Parallel zu der Entstehung der Artikelbriefe entstand der Gerichtsapparat, dessen Mitglieder im Namen des Obersten, des Vertreters der Gerichtsbarkeit, über ihre schuldigen Kameraden richteten. Der Leiter dieses Gerichtsstabes war der Schultheiß, der zuerst in der Tiroler Feldordnung vom Jahre 1499 erwähnt wurde und dessen Amt aus dem Beamtensapparat der Zivilgerichtsbarkeit in den der militäri-schen übernommen wurde. Die Anklage vertrat der sogenannte Profos, dessen Amt von burgundischer Herkunft nicht zum Gerichtsstab des Schultheißen gehörte. Zu diesem Stab wurden außer dem Schultheiß der Gerichtsschreiber, der Gerichtsweibel und die zwölf Geschworenen gezählt. Das Schultheißengericht gab nämlich in Form eines Schwurgerichts anhand der entsprechenden Abschnitte des Artikelbriefes seine Urteile ab, deren Vollstreckung in die Kompetenz des Profoses gehörte, der sowohl polizeiliche als auch wirtschaftliche Aufgaben hatte und in die des Nachrichters (Henkers). Mitte des 16. Jahrhunderts entwickelte sich beim Fußvolk auch eine andere Art der Rechtsprechung, die „Kriegsrecht mit den langen Spießen” (im Unga-rischen: lándzsafutás) genannt wurde. Bei den Regimentern, bei denen die Fußknechte nach ihrer Musterung diese Form der Gerichtsbarkeit annahmen, brauchte man keinen Schultheiß, weil in diesem Fall die Gesammtheit der Soldaten anhand des Artikel-briefes ihr Urteil fällte: das entweder ein Freispruch oder eine Verurteilung sein konnte. Das letztere bedeutete immer die Todesstrafe: die Soldaten bildeten zwei gegenübereinander stehende Reihen und der Verurteilte mußte zwischen ihnen, in der „Gasse”, laufen und sie töteten ihn mit Lanzenstößen. Diese in den 30en Jahren des 16. Jahrhunderts auch in Ungarn angewendete Art der Rechtsprechung wurde wegen ihrer Unmenschlichkeit abgeschafft. In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges tauchte sie in Form einer Bestrafung, des Spießrutenlaufes (im Ungarischen: vesszőfutás) wieder auf.
316Die Militärjustiz der Reiterei bildete sich wegen ihrer gesellschaftlichen Zusammensetzung nur langsam und in einer anderen Organisationsform aus. Die deutsche Reiterei im 16. Jahrhundert setzte sich ebenso wie ihr mittelalterlicher Vorläufer fast ausschließlich aus Aristokraten zusammen, die den militärischen Laufbahn wählten. Sie konnten wegen ihrer Standes- und Adelsprivilegien mit den aus den niederen Schichten der Gesellschaft stammenden Fußknechten nicht gleich-gestellt und mit demselben Artikelbrief versehen werden. Deshalb wurde bei der Reiterei zur Praxis, daß sie ihren Eid auf die Bestallung, d. h. auf den Text des Söldneranwerbungsvertrages ablegten, den der Herrscher mit der Anwerbung beauf-tragtem Rittmeister gab. Diese Bestalltung beinhaltete die Bestrafung der einzelnen Straftaten und bestimmte die Form der Rechtsprechung. Ebenso wie die Artikelbriefe der Fußknechte wurden ihre Ordnungen einheitlich und vervollkommneten sich, so daß ihre eigene Kriegsordnung, die Reiterbestallung (Reiterrecht) auch 1570 auf dem Reichstag zu Speyer von den Reichsständen bekräftig werden konnte.
Die Militärjustiz der im Feldheer des „königlichen” Ungarns gegen die Türken kämpfenden deutschen Fußknechte und Reiterei entsprach völlig den oben erwähnten Normen. Als Argument genügt die Tatsache, daß die bei den deutschen Söldern entstandene Gerichtsstruktur und Rechtsprechung am detailliertesten aus den Werken von Leonhard Fornsperger, der als Schultheiß eine Menge Erfahrungen während der Feldzüge in Ungarn 1542 und 1566 gesammelte, kennengelernt werden kann. Gleichzeitig kann es beobachtet werden, daß in der militärischen Rechtspflege der Jahrzehntelang in den Grenzfestungen dienenden fremden Söldner zahlreiche Elemente vorzufinden sind, die von den allgemeinen Grundsätzen Fronspergers abweichen. Der Grund dafür ist, daß die deutsche Fußknechte und Reiterei, die nach einer bestimmten Grenzfestung des ungarischen Kriegsschauplatzes beordert wurden, in eine spezielle von dem Felddienst sehr abweichende Situation gelangte, die auf die Herausbildung ihrer militärischen Gerichtsbarkeit einen Einfluß ausgeübt hatte.
Der Dienst in den Grenzfestungen bedeutete an einem Ort gebunden zu sein. So wurden besonders die Paragraphen der für den allgemeinen Felddienst gedachten Artikelbriefe überflüssig, die die Disziplin und Feldordnung des sich ständig bewegenden Heeres zu sichern hatten. An ihrer Stelle mußten neue Artikel, die die Grundbedingungen des Zusammenlebens mit den Zivilbewohnern der Grenzfestungen regelten, in die Artikelbriefe aufgenommen werden. Einige Abschnitte mußten sogar für die Verteidigung der Burgen ausgearbeitet und danach eine spezielle für die Lebensweise in den Grenzfestungen entsprechendere Dienstordnung zusammen-gestellt werden. So erschienen manchmal von der Dienstordnung des Reiches aus dem Jahre 1570 sehr abweichende Artikelbriefe, die in je einer Grenzfestung oder in je einem Grenzgebiet als „Kriegsgesetzbücher” funktionierten. 1556 gab z. B. König Ferdinand I. auf die früheren Festungsordnungen basierend eine aus 40 Artikeln bestehende Ordnung, die von seinem Nachfolger Matthias II. im Jahre 1609 in unveränderter Form bekräftigt wurde, für das deutsche Soldatentum der Grenzfestung Komorn (Komárom) aus. Die deutschen Fußknechte der Festungen in den kroatischen und wendischen (slawonischen) Grenzgebieten legten ihren Eid ebenso auf besondere Ordnungen ab. Die Festungsstadt Raab (Győr) bekam sogar eine spezielle Polizei-ordnung, um die Gegensätze zwischen den deutschen und ungarischen Soldaten und 317zwischen den bürgerlichen und adeligen Einwohnern zu mildern, und nicht zuletzt um die Gerichtsbarkeit des Grenzobristen von Raab zu erweitern.
Da die fremden Soldaten in kleineren und größeren Grenzfestungen stationiert wurden, wirkte das nicht nur auf die als Rechtsgrundsätze dienenden Artikelbriefe, sondern auch auf den Rechtsapparat und auf die Rechtsprechung ein. Ein oder noch seltener zwei komplette Fähnlein (Bataillon) wurden nur in den bedeutensten Grenz-festungen stationiert, einerseits weil das Fassungsvermögen der Festungen begrenzt war, andererseits aus bestimmten strategischen Gründen. Anderswo wurden die Fähnleinseinheiten in kleinere, in der Nähe der Hauptfestung liegende Grenzhäuser verordert, wie z. B. aus Sendrew (Szendrő) in die kleinen Nachbarburgen oder aus Altsohl (Zólyom) in die umliegenden Wachposten bzw. in die Bergstädte. Bei solchen Fällen stand das deutsche Soldatentum der Grenzfestungen – als Mitglieder des Fähnleins – unter der Jurisdiktion des Obristen der Hauptfestung, d. h. sie wurden der Gerichtsbarkeit des meist ungarischen Obristen der kleineren Burg enthoben. Ein Teil ihrer Rechtangelegenheiten wurden von dem in der Hauptfestung wohnenden Schultheißen geregelt, dem bei seiner Arbeit von 3-4 Geschworenen, einem Gerichts-weibel und einem Gerichtsschreiber geholfen wurde. Statt der von Fronsperger für ein Regiment vorgeschriebenen zwölf Geschworenen bezahlte die Wiener Militär-leitung einer kleineren Militäreinheit, dem Fähnlein gemäß nur einige. Das bedeutete aber nicht, daß das Schwurgericht nur aus etlichen Personen bestand. Der Kreis der Söldnergeschworenen mit erfahrenen, rechtskundigen offizieren auf zwölf erweitert. Es kam vor, das kein Gerichtsweibel angestellt war, so nahm der Gerichtsschreiber oder ein Geschworener seine Aufgaben auf sich.
Die Soldaten an den kleineren Wachposten konnten sich nicht immer an das Gericht des Obristen wenden, da es oft zehn oder zwanzig Kilometer entfernt war. So wurde es allmählig zur Praxis, daß der Einheitskommandant die Meinungs-verschiedenheiten, die weniger von Bedeutung waren, mit Hilfe seiner Offiziere an Ort regelte, und so kamen vor allem nur die Strafverfahren vor das Schwurgericht des Schultheißen. Der Profos der Hauptfestung, um seiner Aufgaben, der militärischen Gerichtsbarkeit und der Sicherung der Ordnung nachkommen zu können, sandte je einen von seinen Dienern, die Steckenknechte genannt wurden, in die kleineren Bur-gen und Wachthäuser.
Als im 16. Jahrhundert nachdem die Türken Ofen (Buda) erobert hatten und infolge der markantesten Gesellschaftsentwicklung die Herausbildung der einheit-lichen Gesellschaftsgruppe des ungarischen Soldatentums der Grenzfestungen begann, verfügten die deutschen Fußknechte und Reiter schon über einen festen Rechtsapparat und eine gute Rechtspraxis. Durch das enge Zusammenleben der ungarischen und deutschen Soldaten und nicht zuletzt durch die Tätigkeit der ausländischen Grenzobristen, die in der Leitung des Grenzfestungssystems eine Schlüsselrolle gespielt hatten, war die günstige Möglichkeit gegeben, daß das Modell der fremden Militärjustiz fördernd auf die Entstehung der eigenen Gerichtsbarkeit, des Justizapparates und auf die Rechtspraxis wirkte. Was das Vorausgegangene betrifft, kann schon das mittelalterliche Ungarn einiges, zwar unter anderen politi-schen, militärischen und gesellschaftlichen Umständen Entstandenes vorzeigen.
318Dem Heer von König Matthias I. ist es zu verdanken, daß das Söldnertum in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts im ungarischen Militärwesen eine besondere Rolle bekam. Dem ungarischen König stand ein dem westlichen Söldnerfeldheer ähnliches Heer zur Verfügung, dessen Disziplin und Feldordnung sicher mit Dienst-ordnungen gesichert wurden, die den der deutschen Söldnerheeren ähnlich waren. Diesen Standpunkt unterstützen die Beschlüsse des ungarischen Landtages in der Herrschaftszeit der Könige Sigismund I. und Matthias I., die genauso wie die Beschlüsse der Reichsstände die Bestrafung der schuldigen Soldaten bestimmten, und ferner auch die kurze deutschsprachige Kriegsordnung, die die Stadt Bartfeld (Bártfa) in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts für die ins Feldheer des Herrschers einrückenden Söldner gab. Diese Feldordnung, die der Gruppe der Kriegsordnungen der Reichsstädte zugeteilt werden kann, ist ein ausgezeichneter Beweis dafür, daß die Herausbildung der militärischen Jurisdiktion der Feldsöldner im mittelalterlichen ungarischen Königtum der europäischen Entwicklung entsprechend voranging. Das kann auch mit dem Abschnitt der kurzen Ordnung belegt werden, dem nach die höchste Regel der Gehorsam dem Vorgesetzten war. Das bedeutete eigentlich, daß der Obrist Befehlshaber war und Strafbefugnis besaß, d. h. Gerichtsbarkeit hatte.
Die Zuständigkeit des Obristen – zumindest bei den Straftaten, die eindeutig von militärischem Charakter waren – setzte sich vermutlich beim Soldatentum des im Süden doppelten Grenzfestungssystems Ungarns durch. Obwohl die detaillierte Beantwortung dieser Frage die Aufgabe der späteren Forschung ist, soll es doch auf einige interessante Aspekte hingewiesen werden. Obwohl das südslawische Soldaten-tum der Grenzfestungen – wenn auch im allgemeinen nur für kurze Zeit – seine Besoldung vom Herrscher bekam, unterschied sich bedeutend in seinem Charakter und in seiner Funktion sowohl von den europäischen Söldnerheeren als auch vom Heer des Königs Matthias. Diese südslawischen Soldaten waren nämlich solche Dienstleistende, deren Kampfart und Lebensweise, die mit der Verteidigung der Burg und den Streifzügen zusammenhingen, vom Felddienst der Söldner durchaus abwich. Erst recht, weil die finanziellen Möglichkeiten des Landes ihre Besoldung auf längere Zeit nicht erlaubten. So bildeten sie keine einheitliche Militärschicht, zu der sich später das mehr oder weniger ständige ungarische Soldatentum der Grenzfestungen („der Orden der Tapferen”, im Ungarischen: „vitézlő rend”) in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts entwickelte.
Bevor Ungarn infolge der Schlacht bei Mohács (1526) in drei Teile zerissen wurde, finden wir trotzdem an der südlichen Festunglinie eine sich abgrenzende Gruppe, die 1525 durch die Privilegienurkunde des Königs Ludwig II. eigene Juris-diktion bekam. Die Privilegierung der Donaunassadisten und die Ernennung eines Richters, der im Namen des Obristen richtete, konnte damit zusammenhängen, daß die Soldaten der Donauflotte an der Südgrenze eine verhältnismäßig gut abgrenzbare, ständige, waffengeübte Gruppe bildeten, der in der Verteidigung des Landes besondere Aufgaben zufiel. Nachdem das Grenzfestungssystem an der Südgrenze zusammengebrochen war, bekamen die Nassadisten auch in der neuen, seit Mitte des 16. Jahrhunderts sich entfaltenden Verteidigungslinie eine spezielle Rolle. Sicher trug das auch dazu bei, daß ihre mittelalterliche Privilegienurkunde 1554 bekräftigt und dem zufolge ihre militärische Rechtspflege in Komorn (Komárom) endgültig 319institutionalisiert wurde. Von diesem Zeitpunkt an richtete im Namen des jeweiligen Nassadistenhauptmanns von Komorn (Komárom), später Obrist-Leutnants daselbst der Kriegsrichter (im Ungarischen: seregbíró) mit Hilfe der Nassadistenoffiziere in Form eines Schwurgerichts. Die Gerichtspraxis wurde neben den Verordnungen der Privilegienurkunde vor allem vom Gewohnheitsrecht bestimmt. Das letztere hatte ein besonderes in der deutschen Militärjustiz unbekanntes Element, nämlich daß der mit dem Urteil des Kriegsrichters der Nassadisten (naszádos seregbíró) unzufriedene Beklagte beim Grenzobristen der Festung Komorn (Komárom) Berufung gegen das Urteil einlegen konnte.
Parallel zum Ausbau der neuen Grenzfestungslinie entfaltete sich ein Entwick-lungsgang Mitte des 16. Jahrhunderts, durch den das ungarische Soldatentum der Grenzfestungen zum integren und vom im Charakter selbständigen Bestandteil der ungarischen Gesellschaft wurde. Das ungarische „Kriegsvolk der Tapferen” („vitézlő nép”) wich im Charakter bedeutend vom deutschen Soldatentum der Festungen ab, mit dem es in enger Kontiguität lebte, die später die militärische Rechtspflege ausschlaggebend abgefärbt hatte. Obwohl die ungarischen Grenzsoldaten – genauso wie die deutsche Kompagnien – ihren Lebensunterhalt als Söldner des Herrschers (zumindest im 16. Jahrhundert) überwiegend mit dem Militärdienst verdienten, kann ihre Lebensweise mit der der klassischen Söldner der Zeit kaum verglichen werden. Da sie an einem Ort gebunden waren, eignete sich einerseits ihre militärische Lebensführung zahlreiche Zivilmerkmale an, andererseits fanden sie keinen Ausweg aus der spannungsvollen Situation, in die sie wegen ihrer bunten gesellschaftlichen Zusammensetzung gelangten. Die Obersten Befehlshaber der infolge der Etabli-sierung der Türken in Ungarn entstandenen neuen Soldatengruppe kamen aus dem Hochadel, die Offiziere waren von kleinadeliger und bäuerlicher Abstammung, in Massen bestand sie aber nachweisbar aus Bauern. Das Problem lautet aus der Sicht unseres Themas zugespitzt wie folgend: die Soldatenschicht aus Adeligen und Unadeligen kämpfte für das Privilegium der eigenen Gerichtsbarkeit. Wenn sie es bekommen hätte, hätte es bedeutet, daß die Bevorrechteten und die Unterworfenen – zumindest im Fall eines Gesammtprivilegiums – gleicher Gerichtsbarkeit unterstellt worden wären. Für die Gedankweise der ungarischen Stände und Adeligen war das vollkommen unmöglich, obwohl es sich dann am Ende des 16. Jahrhunderts um den Preis langer Kämpfte doch durchsetzte.
Auf die Etablisierung der eigenen Militärgerichtsbarkeit der ungarischen Grenz-soldaten hätte fördernd gewirkt, wenn sie als Rechtsgrundsatz eine ähnliche Dienstordnung wie die Artikelbriefe der deutschen Landsknechte im Feld oder Söld-ner der Grenzfestungen gehabt hätten. Ein solches „jus militare Hungaricum” wurde während des Feldzuges des Feldobristen in Oberungarn, Lazarus von Schwendi – wahrscheinlich – 1566 zusammengestellt. Es ist wohl kein Zufall, daß der Name und der Zeitpunkt dieselben sind wie beim oben dargestellten Artikelbrief der deutschen Fußknechten. In der Person von Lazarus von Schwendi kam einer der bedeutesten Heerführer und Kriegswissenschaftler auf den ungarischen Kriegsschauplatz, der für seine Aufgabe machte, neben dem deutschen Soldatentum auch für das ungarische eine einheitliche Kriegsordnung zusammenzustellen und durchzubringen.
320Die in lateinischer und ungarischer Sprache auf die Nachwelt gekommene Kriegsordnung wurde unter Berücksichtigung der Ratschläge der Obristen und der heimischen Umständen mit Zugrundelegung eines Artikelbriefes aus der Regierungs-zeit von Ferdinand I. zusammengestellt. Der Feldobrist Lazarus von Schwendi schlug bestimmt die Übernahme einer allgemeinen deutschen Kriegsordnung bzw. die Über-arbeitung derselben vor. So entstand die erste allgemeine Dienstordnung der ungari-schen Fußknechte und Reiterei. Da sie während des Feldzuges gegen den Fürsten von Siebenbürgen, Hans II. (Sigismund) angefertiget wurde, trägt sie natürlich stark ein Gepräge der Feldordnungen. Das muß besonders hervorgehoben werden, weil durch die oben erwähnte Tatsache ihre Anwendung unter den in den Festungen herrschen-den Umständen erschwert wurde, obwohl ihre allgemeinen Verordnungen, genauso wie bei zahlreichen deutschen Artikelbriefen, leicht zur Dienstordnung der Grenzfes-tungen umgearbeitet werden konnte. Ihre Verbreitung hinderte nicht ihr Feld-ordnungscharakter, sondern der Widerstand der ungarischen Stände bei ihrer Ratifi-kation.
Obwohl die Kaiser Maximilian II. und Rudolf II. unterstützten, daß diese Dienst-ordnung landgültig eingeführt und durch einen Gesetzartikel ratifiziert werden soll, verhinderte der Widerstand der Stände jedes Mal, daß der Artikelbrief von Schwendi zum „Kriegsgesetzbuch” der ungarischen Grenzsoldaten wird. Das Verhalten der Stände, die sich auf ihr ausschließliches Vorrecht der eigenen Jurisdiktion versteiften, war vollkommen verständlich, da ihnen nur der beharrliche Widerstand als einzig mögliche Alternative blieb, wenn sie wirklich verhindern wollten, daß Adelige und Unadelige unter gleicher Gerichtsbarkeit stehen. Über die Ratifizierung der Kriegs-ordnung wurde auch später kein Dekret des ungarischen Landtages erlassen und – im Gegensatz zu den deutschen Artikelbriefen von Speyer – erschien sie auch im Druck nicht. Das konnte ihre Verbreitung erschweren, aber nicht verhindern. Infolge der Urgenz der Hauptgrenzberatung in Wien vom Jahre 1577 – wo auch Lazarus von Schwendi eine der Hauptrollen spielte – nahmen die Stände von Innerösterreich sie bald an und verkündeten sie im Frühling 1578 als allgemeine Kriegsordnung, nachdem der Text in die Sprache ihrer südslawischen Grenzsoldaten übersetzt wurde. Von ihrer Brauchbarkeit zeugt, daß das Fußvolk und die Reiterei der neugebauten Grenzburg Weitschawar (Bajcsavár) schon in diesem Jahr auf diese Kriegsordnung ihren Eid ablegten. Diese Artikel wurden auch noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als allgemeine Dienstordnung bei den südslawischen Fußknechten und bei der Reiterei der Grenzfestungen angewendet.
Auf dem Gebiet des „königlichen” Ungarns im engeren Sinne konnte die Kriegs-ordnung wegen des Widerstandes der Stände nicht zum Rechtsgrundsatz der Gerichtsbarkeit in den Grenzfestungen werden. Obwohl in Erlau (Eger) und in Ober-ungarn ihre Verwendung mehrmals angeordnet wurde, konnte sich das Kriegsgericht bei der Urteilsfällung schwerlich auf eine landgültig nicht anerkannte Rechtsquelle berufen. Das erklärt die Tatsache, daß in den erhaltengebliebenen Urteilsbriefen eher die gewöhnlichen Gesetzartikel des Landes und das bekannte Tripartitum von Ste-phan Werbőczy zitiert wurde. So konnte die Dienstordnung von Schwendi nur Teil des Gewohnheitsrechtes der Grenzsoldaten werden, wie das auch 1599 von den Ständen des Landes anerkannt wurde, als sie zugaben, daß auch das ungarische 321Soldatentum über eigenes Militärrecht (jura militaria) verfügt, auf dessen Grund über sie gerecht Gericht gehalten werden konnte. Die Kriegsordnung kann ruhig, genauso wie die Reichsartikelbriefe vom Jahre 1570 bei den deutschen Söldern, als „Kriegs-gesetzbuch” der ungarischen Fußknechte und Reiter – zwar in erster Linie nicht bei denen, die in Grenzfestungen dienten – betrachtet werden. Die ungarischen Reiter und Fußknechte, die als Söldner des kaiserlichen Heeres auf ausländischen Kriegs-schauplätzen dienten, legten nämlich im 17. Jahrhundert nach ihrer Musterung den Eid im allgemeinen auf diese Artikel ab.
Die Stände konnten zwar die Verbreitung der einheitlichen Kriegsordnung des „Kriegsvolkes der Tapferen” („vitézlő nép”) verhindern, aber ihr Widerstand konnte den Entwicklungsprozeß nicht aufhalten, der als Ergebnis am Ende des 16. Jahr-hunderts die Konsolidierung der Gerichtsbarkeit und Herausbildung des Gerichts-apparates dieses Kriegsvolkes vorzeigen konnte. Die Obristen der Grenzfestungen besaßen schon vor der Schlacht bei Mohács (1526) das Befugnis zum Richten. Diese Rechtsphäre wurde durch die königlichen Anordnungen und Bestallungen Mitte des 16. Jahrhunderts nur weiter bestärkt: einige fortgeschrittene Varianten bestimmten schon die Art und Weise der Rechtsprechung. Dementsprechend mußten die Obristen mit Hilfe erfahrener Offiziere und rechtskundiger Personen in Form eines Schwur-gerichtes ihre Urteile fällen. Parallel dazu wurde kein eigener Kriegsrichter ernannt und ein dem Stab des Schultheißen ähnlicher Gerichtsapparat entstand auch nicht. Erst nachdem sich die Struktur der Grenzfestigungssystems stabilisierte und die Zahl der Streitfälle rapid zugenommen hatte, wurde es möglich und gleich nötig geworden, Kriegsrichter (im Ungarischen: hadbíró oder seregbíró) zu ernennen, die die Gerichts-höfe der Grenzobristen und Obristen der Grenzfestungen leiteten.
Das Amt des ungarischen Kriegsrichters (im Lateinischen: judex bellicus) erschien zum erstenmal auf dem Gebiet des oberungarischen Generalates, in einem der Grenzgebiete, die die Grundpfeiler der Türkenabwehr bildeten. Der Zeitpunkt und der Ort ist uns schon bekannt: Sommer 1566, das Feldlager des Feldobristen Lazarus von Schwendi in Ungvár. General Schwendi arbeitete nicht nur die einheitliche Kriegsordnung des ungarischen Soldatentums aus, sonder er führte auch ein in der ungarischen Militärorganisation bis dahin fremdes oder nur provisorisch auftauchen-des Amt ein. Franz Wékey wurde seines Kriegsrichteramtes am Ende des Feldzuges gegen den Fürsten von Siebenbürgen nicht enthoben, sein Amt wandelte sich bloß in das ständige Amt des Kriegsrichters am Gerichtshof des Feldobristen in Oberungarn um.
Es dauerte noch lang bis auch in den anderen Grenzgebieten des Landes dem Kriegsrichter des Generales in Oberungarn ähnliche Militärbeamten im Namen ihrer Vorgesetzten vorgingen. Das hing einerseits damit zusammen, daß sich das Grenzfes-tungssystem, d. h. die Grenzobristhauptmannschaftsstruktur erst in den 80en Jahren des 16. Jahrhunderts stabilisierte, andererseits damit, daß die Zahl der Streitfälle unter den Soldaten, und zwischen den Soldaten und den ausländischen Grenzsoldaten und der Zivilbevölkerung so hoch wurde, daß die Obristen ihren Richterpflichten an manchen Orten allein nicht mehr nachkommen konnten. Deshalb mußten neue ungarische Kriegsrichter ernannt werden – worauf auch die Hauptgrenzberatung im Jahre 1577 drängte – vor allem in solchen Festungsstädten (die gleichzeitig Grenz-obristenzentren 322der Grenzgebieten waren) wie Raab (Győr) oder Neuhäusel (Érsek-újvár). Anfang der 90er Jahre des 16. Jahrhunderts übten in diesen Grenzfestungen bezahlte ungarische Kriegsrichter am Gerichtshof der Grenzobristen Rechtspflege. Sie gingen nicht nur bei den Streitfällen der Soldaten an ihrem Sitz voran, sondern sie verfuhren auch dann, wenn Berufung gegen das Urteil des Gerichtshofes der kleineren Festungen beim Grenzobristen eingelegt wurde. In der Rechtspraxis der ungarischen Grenzsoldaten bildeten sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts allmählich – vor allem infolge des Aufbaues des Grenzfestungssystems – einige Elemente raus, die als rein aus den örtlichen Umständen entsprungene Eigenartigkeiten betrachtet werden können. Die Gerichtshöfe der Obristen der kleineren Grenzfestungen durften bei „criminalis causa” Fällen (wie Diebstahl, Mord, usw.) nur mit dem Vorwissen des Grenzobristen oder seines Vertreters, des Obrist-Leutnants Strafen verhängen; andererseits bat sich die Möglichkeit an, daß die mit dem Urteil des Gerichtshofes des Obristen nicht zufrieden waren, in die Berufung vor dem Gerichtshof des Grenz-obristen gehen konnten. Die Aufgabe dieser zweitinstanzlichen Gerichts war in den Prozessen, die die Mitglieder der Besatzung oder die Offiziere der Grenzfestungen gegeneinander führten, in lezter Instanz zu verhandeln. Den Anordnungen des ober-ungarischen Feldobristen Sigismund Forgách vom Jahre 1613 ist es zu verdanken, daß der Gerichtshof des Feldobristen in Oberungarn die höhere Instanz nicht nur der Grenzsoldaten, sondern auch die der Stadtsgerichtshöfe der Hajduken, die der Fürst Stephan Bocskai ansiedelte, wurde. Wenn wir die Rechtspraxis der ungarischen Grenzsoldaten mit der deutschen Söldner vergleichen, können wir einen weiteren grundlegenden Unterschied feststellen. Während bei den letzteren die Entwicklung der militärischen Rechtspflege der Reiterei und die der Fußknechte ganz unterschiedliche Wege ging, kamen diese beide Waffengattungen bei den ungarischen Grenzsoldaten unter dieselbe Gerichtsbarkeit des Obristen. Obwohl unter den Husaren – ebenso wie bei der deutschen Reiterei – die Adeligen wahrscheinlich in höherer Anzahl waren, als in den Reihen der Fußknechte, die eher die Bauernmassen in sich zogen, beinflußte diese Tatsache ihre Entwicklung doch nicht so stark, daß ihre militärische Jurisdiktion eigene Wege hatte gehen können.
In den Grenzfestungen, in denen die Söldner des Königs mit adeliger Zivilbevölkerung zusammenlebten (wie z. B. in Fülek oder Lewenz [Léva]), wurden die Richteraufgaben an den Obristengerichtshöfen von einem extra bezahlten Beam-ten, dem Kriegsrichter (im Ungarischen: seregbíró) übernommen, der in den lateini-schen Quellen ebenfalls „judex bellicus” genannt wird. In den kleineren Wach-häusern hatten noch immer die Obristen oder die Obrist-Leutnant die Jurisdiktion, die bei ihrer Arbeit fast überall von einem dem deutschen Gerichtsschreiber ähnlichen Beamten, vom „juratus notarius bellicus” (im Ungarischen: hites seregjegyző) Hilfe bekamen. Die vom Hofkriegsrat extra bezahlten Geschworenen wurden nur am Gerichtshof des Grenzobristen von Raab (Győr) und Kaschau (Kassa) angestellt, das Amt des Gerichtsweibels, des Profoses und seiner Helfer gingen in das System der ungarischen Militärrechtspflege nicht über. Die Aufgaben des ersten wurden vom Kriegsnotar („juratus notarius bellicus”) erledigt, die des Profoses teilten sich der Wachtmeister, der Burgvogt („castellanus”) und der Kerkermeister untereinander. Der Militärjustizapparat der ungarischen Grenzsoldaten war viel einfacher, als der 323ihrer ausländischen „Gefährten”; wie auch das Befugnis der Obristen auch nicht so stabil war, als das der deutschen Regimentsobersten.
Zum Beginn des 17. Jahrhunderts erarbeitete sich das ungarische Soldatentum der Grenzfestungen das Privilegium der eigenen militärischen Gerichtsbarkeit, die mit der Befreiung von der Zinsherrschaft und von der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit und mit der Schenkkonzession und dem Milchrecht, und mit der Religionsfreiheit ein Grundelement ihrer streng behüteten Vorrechte und ihrer Selbsständigkeit wurde. Was die Militär- und innere Angelegenheiten betrifft, haben die Stände des Landes keines dieser Rechte angegriffen. Aber die sogenannte „adelige” Gespanschaft erhob sich etlichmal, um das Recht der eigenen Gerichtsbarkeit der Soldaten einzu-schränken, weil besonders die Bauer den Gewalttaten und Plünderungen zum Opfer fielen. Die Gespanschaft, die über keine eigene Brachialgewalt verfügte, konnte auf das Kriegsvolk der Grenzfestungen nicht verzichten. Die Offiziere und Obristen der Grenzfestungen kamen aber aus derselben Schicht des niederen Adels, wie die Beamten der Gespanschaft, die gegen diese Übertretungen auftraten. Aus diesem „circulus vitiosus” der Gesellschaftsinteressen, die zwischen und innerhalb der einzelnen Gruppen existent waren, war schwer ein Ausweg zu finden. So bestand nur die geringe Hoffnung die ständigen Auseinandersetzungen und Gerichtsbarkeits-streitigkeiten zu beseitigen. Der Ausgang der Prozesse zwischen den Grenzssoldaten und Gespanschaften wurde so von dem augenblicklichen Machtverhältnissen der streitenden Parteien bestimmt.
Vorläufig ist es schwer eine genaue Antwort auf die Frage zu finden, wie effektiv die militärische Rechtspflege gegenüber den Grenzsoldaten, die auf Kosten der Bauer das Gesetz übertreten haben, auftreten konnte. Nach den bisher geforschten Materi-alien der Archiven der Regierungsbehörden, der Familien und vor allem der Gespan-schaften wurden diese Straftaten wegen den oben dargestellten Interessengegensätzen nicht hart genug bestraft. Die Stände waren befugt gegenüber den Plündereien der Grenzfestungssoldaten mit Gesetzen des ungarischen Landtages aufzutreten, die vorschrieben, daß sie in solchen Fällen nicht als Soldaten, sondern als Verbrecher zu betrachten sind, die vom Gerichtshof der Gespanschaft zur Verantwortung gezogen werden müssen. Der bewaffnete Auftritt der Obristen der Grenzfestungen überzeugte bald die Vertreter der Schicht der Grundherren, daß es besser ist, wenn sie mit denen, die ihre Interessen in den Eroberungsgebieten auf sich nahmen, keinen Streit beginnen. Für die „adelige” Gespanschaft war es günstiger, wenn sie ein Auge über die Schaden, die ihnen durch die Belästigung der Bauer zugefügt wurde, zudrücken und sie mußten sich damit genügen, daß die Obristen der Grenzfestungen und die Grenzobristen der Grenzgebiete von Zeit zu Zeit die Soldaten, die sich wirklich als Verbrecher benommen haben, bestraften.
Die vom Jahre 1683 angefangenen Türkenkriege brachten nicht nur in der Entwicklung Ungarns eine neue Epoche, sondern auch in der des ungarischen Heer-wesens und der militärischen Rechtspflege. Nachdem die Kämpfe in den Grenz-gebieten beendet worden waren und der neue Verteidigungsgürtel, die südliche Militärgrenze ausgebaut worden war, wartete am Ende des 17. Jahrhunderts auf das ungarische Soldatentum der Grenzfestungen die allmählige Abschaffung, mit der natürlich auch das Privilegium der militärischen Gerichtsbarkeit und der Gerichts-apparat 324erlosch. Das neue Jahrhundert brachte aber nicht das Weiterleben des für die Kriegführung an der Grenze gegen die Türken besonders geeigneten Soldatentums der Grenzfestungen, sondern es bahnte den Weg der Entstehung und Entwicklung des Heeres in Ungarn, das zum integrierten Teil des Reichsheeres wurde. Die Weiter-entwicklung auf dem Gebiet der militärischen Jurisdiktion wurde von dem deutschen Modell vertreten, das schon die wichtigsten Eigenschaften eines ständigen Heeres in sich trug. Die sogenannte Auditorengerichte, die im 17. Jahrhundert aus den Schul-theißengerichten entstanden, waren schon wirklich die Vorbilder der Gerichtsinstan-zen der militärischen Jurisdiktion des ständigen Heeres.
Zusammengefaßt: trotz der Abweichungen von der deutschen Militärgerichts-barkeit und trotz des anfänglichen Gerichtsapparates und der speziellen Rechtspraxis, darf nicht behauptet werden, daß der Entwicklunsgweg der ungarischen militärischen Rechtspflege im 16.–17. Jahrhundert eine Sackgasse war. Wir formulieren richtiger, wenn wir von einem eigenen, sich nach den örtlichen Möglichkeiten richtenden, spe-ziellen Weg sprechen. Die Form der eigenen Militärjustiz auf dem türkenfeindlichen Kriegsschauplatz entsprach völlig der Struktur des Grenzverteidigungssystems, den Möglichkeiten und Ansprüchen der ungarischen Soldatenschicht, deren Entwicklung infolge der Kriegführung in den Grenzgebieten andere Wege ging. Die militärische Rechtspflege entsprach also völlig den örtlichen Umständen der Grenzfestungen und sie konnte mit gleicher Effektivität die Disziplin der ungarischen Soldaten sichern, wie die deutschen Schultheißengerichte die ihrer Söldner. Die ungarische Militär-gerichtsbarkeit kann als das Gegenbild der Gesellschaftsstruktur der Grenzsoldaten betrachtet werden, da ihre Entwicklung, Struktur und Rechtsprechung von denen der deutschen Söldner in dem Maße abwich, wie das ungarische Soldatentum der Grenzfestungen von den Eigenartigkeiten der ständigen Söldnerheere, die sich gerade entfalteten und den progressiven Entwicklungsweg des Militärwesens vertraten.
Übersetzt von Katalin Takács

 

 

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