Der Horea-Aufstand

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Der Horea-Aufstand
Aus ganz verschiedenen Richtungen kreuzten sich die Wege im Herbst des Jahres 1784. Erstens hatte sich das Verhältnis zwischen Grundherren und Leibeigenen in ganz Siebenbürgen verschlechtert, im Erzgebirge aus spezifischen Gründen noch rascher. Gebirge und enorme Waldgebiete um das Kammergut von Kleinschlatten hatten früher den zerstreut liegenden Dörfern ermöglicht, den größten Teil ihrer Bevölkerung vor der Steuerkonskription zu verheimlichen. Nach einer strengen Untersuchung wurden aber die Steuerlasten der Bevölkerung des Kammergutes nach 1772 verdoppelt, und die Untersuchung brachte zusätzlich eine plötzliche Erhöhung der Frondienste, die zweitägige Wochenfron und die verbindliche (und sehr schlecht bezahlte) Lohnarbeit wurden eingeführt sowie gewisse Erleichterungen abgeschafft. Die Steuereinnahmen von den 7000–7500 Urbarialbauern des Kammergutes Kleinschlatten erhöhten sich auf das Dreifache. Die Leibeigenen wandten sich unmittelbar an den Monarchen, und in der Deputation von 1779 finden sich bereits die Führer des Aufstandes von 1784, Horea und Cloşca.
Horea (eigentlich Vasile Nicula) wurde 1730 geboren. Als entlaufener, dann sich freikaufender Leibeigener durchzog er einen großen Teil Siebenbürgens. Als Zimmermann erwarb er ein im Vergleich zu den Bauern erhebliches Vermögen. Als erfahrener Mann wurde er 1779 aufgefordert, der Deputation nach Wien anzugehören. Seitdem hielt er sich mehrmals in der Kaiserstadt auf. Im Mai 1782 spitzte sich ein Konflikt um das Schankrecht des oberen Kammergutes von Kleinschlatten auf dem Landesmarkt in Topesdorf zu einem Aufruhr zu. Das vom Schankrecht ausgeschlossene aufgehetzte Volk zerschlug den Boden der Fässer der beiden armenischen Monopolpächter. Das Patrimonialgericht von Kleinschlatten verhängte als Vergeltung eine Reihe schwerer, auch Todesurteile, und die Pächter forderten Schadenersatz. Horea, der am Aufruhr teilgenommen hatte, nahm die Gelegenheit wahr, sich 435mit den Beschwerdeschriften der Bevölkerung vom Kammergut jetzt wieder auf den Weg nach Wien zu machen, und gelangte auch bis zum Kaiser. Das war nicht ungewöhnlich, da Joseph II. die Bittschriften der Untertanen mit einigen ermutigenden Worten persönlich in Empfang zu nehmen pflegte. Im April 1784 bekam aber Horea auch in der Kanzlei die Antwort, das Gubernium sei, solange Joseph II. in dieser Angelegenheit keine Entscheidung treffe, verpflichtet worden, die Gemeinden des Kleinschlattener Kammergutes gegen die Beamten des Gutes und des Komitates zu verteidigen. Da Horea und seine Gefährten das Gubernium bzw. das Komitat vergeblich um Schutz baten, wandten sie sich an das Militärkommando in Karlsburg.
Zur Verstärkung der Militärgrenze hatte Joseph II. gerade zu dieser Zeit die Konskription der Freiwilligen in den Dörfern der Militärgrenze verfügt. Unter den Bauern, die im Juni 1784 auf den Markt in Karlsburg kamen, gab es infolge einer mißverstandenen Anordnung massenhafte Anmeldungen; bis Mitte August wären bereits die Männer von 80 Dörfern in den Militärdienst getreten. Ein Teil der Konskribierten verweigerte den Frondienst, andere belästigten diejenigen, die nicht zum Militär wollten – die Lage ähnelte in vieler Hinsicht der von 1762/73 bei der Aufstellung der Szekler-Grenzwache. Das Gubernium stellte aber die ohne seine Kenntnis und Zustimmung durchgeführte Konskription ein und erklärte alle Anmeldungen für ungültig. In dieser Situation nahm Horea den Kontakt mit dem Militärkommando in Karlsburg auf, und infolge eines erneuten Mißverständnisses verbreitete sich bald die Nachricht, der Kaiser habe Horea befohlen, zu den Waffen zu greifen. Von hier führt der Weg direkt zum Aufstand. Gheorghe Crişan, ein entlaufener Leibeigener des Kleinschlattener Kammergutes, rief die Bauern im Tal der Weißen Kreisch für den 31. Oktober 1784 zu einer Versammlung nach Mesztákon; von dort gingen sie nach Karlsburg, um sich in die Grenzwache einschreiben zu lassen. Unterwegs wollten Komitatsbeamte und Haiducken die Menge auseinanderjagen, was zu einem heftigen Zusammenstoß führte. Damit brach der Aufstand aus, dem sich das Bauernvolk ganz Südwestsiebenbürgens innerhalb weniger Tage anschloß. Im Komitat Zaránd zerstörten die aufständischen Bauern zahlreiche Gutshöfe, und die Flammen des Aufstandes schlugen auch auf die ungarischen Nachbargebiete über. Auch im Komitat Hunyad erhoben sich die Bauern sozusagen geschlossen. Die Bauern des Erzgebirges griffen – mit Horea, Cloşca und dem sich ihnen anschließenden Crişan an der Spitze – Großschlatten und Goldbach an; an mehreren Orten wurden Komitats- und Fiskalbeamte, nicht-rumänische Priester und hier und da auch Dorf-„Richter“ erschlagen.
Ein energisches Auftreten der Regierung ließ aber auf sich warten. Gubernator Samuel Bruckenthal verlangte Militär gegen die Aufständischen, das Oberkommando wollte aber mangels höherer Befehle nichts entscheiden. Der Aufstand breitete sich aus, woraufhin Gubernium wie Oberkommando getrennt mit den Bauern zu verhandeln begannen. Inzwischen organisierte der Adel an manchen Orten eine Selbstverteidigung: bei Diemrich schlug er mit Hilfe der dortigen Husaren die Aufständischen und ließ 56 gefangengenommene Bauern standrechtlich hinrichten. Auch anderswo kam es zu Zusammenstößen zwischen Adel und Bauern, das Militär – meistens ungarisches oder Szekler-Husaren – ging hie und da eigenmächtig gegen die Aufständischen vor.
436Joseph II. und die Leiter der Zentralbehörden konnten sich zu keinem einheitlichen Standpunkt über den Aufstand durchringen, da die – einander meist widersprechenden – Nachrichten mit beträchtlicher Verspätung in Wien eintrafen. In der Zentralregierung wurde zuerst über Prinzipien diskutiert, und anfangs dominierte das Prinzip der Staatssicherheit. Joseph II. bekam am 12. November 1784 Kenntnis vom Aufstand und gab dem Militärkommando sofort Befehl, den Aufstand mit Waffengewalt niederzuschlagen. Sehr bald aber rückten die Gesichtspunkte der Bauernpolitik in den Vordergrund. Um den 17. November mußte der Kaiser einem Runderlaß des Guberniums entnehmen, daß beim Ausbruch des Aufstandes auch Mißbräuche der Komitatsbeamten eine Rolle gespielt hatten. Am 19. November war er schon der Meinung, daß die Grundherren für den Aufstand verantwortlich seien, da sie ihre Bauern auf die unterschiedlichste Weise unterdrückten, und sandte einen Untersuchungskommissar in der Person des zuverlässigen Josephinisten Antal Jankovics nach Siebenbürgen.
Den Kaiser erfaßte ein tiefer Gewissenskonflikt. Als er von den Massenhinrichtungen in Diemrich erfuhr, fand er die Reaktion des Adels völlig verständlich. Er betrachtete den Aufstand auch als Mißerfolg seiner Politik. Er schrak vor blutiger Vergeltung zurück, da er eine solche auch politisch für unvernünftig hielt, weil das Feuer bei der ersten Gelegenheit von neuem ausbrechen würde. Er traf Maßnahmen, um das standrechtliche Verfahren und kurz darauf einen vermeintlichen allgemeinen Aufstand des Adels zu verhindern. Seiner Meinung nach war die Abschaffung der Erbuntertänigkeit nicht nur wirtschaftlich notwendig, sondern vor allem der erste Schritt für eine politische Lösung.
Das Interesse der Staatssicherheit und die Argumente der Militärs bekamen aber bald wieder die Oberhand. Der Kaiser erließ am 13. Dezember 1784 eine ganze Reihe Verordnungen folgenden Inhalts: Der Aufstand kann ohne Gewalt nicht niedergeschlagen werden; es war ein Fehler, die Angelegenheit von Anfang an nicht ernst genommen zu haben; das Militär soll mit voller Entschlossenheit auftreten. Der Aufstand war aber damals bereits zusammengebrochen. Das Militärkommando hatte zwei Kolonnen von je 750–800 Mann ins Erzgebirge beordert und die Aufständischen auseinandertreiben lassen. Horea und Cloşca wurden mit Hilfe von Bauern Ende Dezember gefangengenommen.
Die Vergeltung wurde nach den direkten Anweisungen Josephs II. geübt. An den Führern des Aufstandes mußte ein Exempel statuiert werden. Sie wurden dorthin gebracht, wo sie die schwersten „Untaten“ begangen hatten, und mußten vor zusammengetriebenen Bauern als abschreckendes Beispiel hingerichtet werden. Mehr als 660 Personen kamen vor Untersuchungskommissionen. Die gut 300 Bauern, die sich dem Aufstand nicht freiwillig angeschlossen hatten und keines schweren Verbrechens bezichtigt wurden, ließ man unverzüglich frei. Die freiwilligen, plündernden Teilnehmer am Aufstand, ungefähr 180, wurden mit körperlicher Züchtigung bestraft und danach freigelassen. Von den 120 Aufständischen, die eines Schwerstverbrechens bezichtigt wurden, verurteilte man 37 zum Tode und die übrigen zu Gefängnisstrafen. Außer den drei Anführern begnadigte Joseph Il. sämtliche zum Tode Verurteilten. Crisan beging im Gefängnis Selbstmord. Horea und Cloşca wurden am 18. Februar 1785 vor einer zusammengetriebenen Bauernmenge in Karlsburg aufs Rad geflochten.
437Hatte dieser Aufstand den Charakter eines nationalen Vernichtungskrieges, den Joseph II. so fürchtete? Er war in Gebieten ausgebrochen, deren Bauernbevölkerung ausnahmslos oder überwiegend Rumänen, die adligen Grundherren und Komitatsbeamten – unabhängig von der ethnischen Herkunft ihrer Familie – Ungarn waren. Für den „nationalen“ Charakter spricht scheinbar auch der Umstand, daß die Aufständischen gefangengenommene Adlige zum Übertritt zum orthodoxen Glauben und ungarische adlige Mädchen dazu zwangen, rumänische Jünglinge zu heiraten. Dabei war aber nicht der ethnische oder nationale Gesichtspunkt maßgebend, sondern der konfessionelle, fest verknüpft mit bäuerlichen egalitären Bestrebungen. Die neuesten Forschungen haben bewiesen, daß sich auch Ungarn und Sachsen zur Grenzwache meldeten und am Aufstand teilnahmen: Ungarn z. B. aus Großschlatten (unter ihnen – und in der Führung – auch Bergleute) und Sachsen aus den Dörfern in der Umgebung von Klein-Enyed; und selbst Torockószentgyörgy mit seiner überwiegend ungarischen Bevölkerung schloß sich dem Aufstand an. In den Komitaten Torda und Kolozs wurden zahlreiche ungarische Bauern wegen ihrer Teilnahme am Aufstand verurteilt. Andererseits hielt sich der Träger des in Entfaltung begriffenen rumänischen Nationalbewußtseins, die rumänische Intelligenz, völlig dem Aufstand fern. Samuil Micu-Klein nannte Horea und seine Anhänger z. B. „verdammte Menschen, die den Adel zugrunde richten wollten“.

 

 

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