Konfessionelle und ethnische Struktur
In dieser Periode ist Siebenbürgen nach wie vor eine der konfessionell buntesten Regionen des Kontinents. Durch die kapitalistische Umgestaltung traten keine Veränderungen in den religiösen Verhältnissen ein: Die konfessionelle Zugehörigkeit blieb ein wichtiger Gestaltungsfaktor des moralisch-politischen, kulturellen sowie demographischen Verhaltens der breiten Massen.
Die meisten Gläubigen hatte die griechisch-orthodoxe rumänische Kirche, dicht gefolgt von der griechisch-katholischen Kirche, die in erster Linie die Rumänen in Nordsiebenbürgen erfaßte. Die früheren vier „anerkannten Religionen” – die Römisch-Katholischen, Reformierten (Kalvinisten), Evangelischen (Lutheraner) und Unitarier – galten als Träger und Regulatoren des Glaubenslebens der ungarischen und sächsischen Bevölkerung. Die Sachsen waren großenteils evangelisch, die Szekler teils katholisch und teils reformiert, während der überwiegende Teil der Magyaren Siebenbürgens reformiert blieb. Auch die kleine unitarische Kirche bestand aus Magyaren. Mitglieder der israelitischen Kultusgemeinde wurden 1850 in den Statistiken nur mit wenigen Tausend registriert, größeres Gewicht hatten sie in der ganzen Periode eher in den benachbarten Städten Arad, Temeschwar und Großwardein. In Arad machten sie bereits 1869 11,34 % der Bevölkerung aus und in Großwardein 22,43 %; in Siebenbürgen näherte sich ihre Anzahl bis 1910 der der Unitarier.
Auch in konfessioneller Hinsicht bildeten die Städte oftmals Inseln in ihrer Umgebung. Während die Katholiken um die Jahrhundertwende 13,3 % der Gesamtbevölkerung ausmachten, stellten sie 25,9 % der Stadtbevölkerung. Bei den Reformierten betrug das Verhältnis 14,7:23,4 % bei den Evangelischen 9,0:16,1 %, bei den Unitariern 2,6:2,4 % und bei der israelitischen Kultusgemeinde 2,1:6,3 %, bei den Griechisch-Orthodoxen dagegen 30,3:15,0 % und bei den Griechisch-Katholischen 28,0:11,6.
Unter den Konfessionen differenzierte auch die Bevölkerungszunahme. Der Zuwachs der Evangelischen ging in den Jahren von 1851 bis 1857 bereits auf 1,2 Promille zurück, bei den Unitariern betrug er 6,6, bei den Reformierten 7,1, bei den Römisch-Katholischen 9,1, bei den Griechisch 558Katholischen 5,7 und bei den Orthodoxen 6,8 Promille. Diese Tendenzen haben sich auch später nicht grundlegend geändert. Stets war der Zuwachs bei den Katholiken und Reformierten am höchsten (nur übertroffen von dem der wenigen Israeliten) und bei den Evangelischen am ungünstigsten. Ein noch geringerer Wert kann lediglich bei der katholischen schwäbischen Bauernschaft des Banats verzeichnet werden.
557Tabelle 4. Konfessionelle Verteilung der Bevölkerung Siebenbürgens, 1850–1910
|
Konfession
|
1850
|
1880
|
1900
|
1910
|
1850
|
1880
|
1900
|
1910
|
absolute Zahlen
|
%
|
Römisch-Katholische
|
219 536
|
211 622
|
263 816
|
331 199
|
375 325
|
10,6
|
11,37
|
12,7
|
13,3
|
14,0
|
Griechisch-Katholische
|
664 154
|
543 530
|
575 866
|
691 896
|
749 404
|
32,2
|
29,20
|
27,5
|
28,0
|
28,0
|
Orthodoxe
|
621 852
|
600 474
|
662 936
|
748 928
|
792 864
|
30,2
|
32,26
|
31,8
|
30,3
|
29,6
|
Evangelische
|
196 356
|
195 956
|
199 551
|
222 346
|
229 028
|
9,5
|
10,53
|
9,6
|
9,0
|
8,6
|
Reformierte
|
298 136
|
252 342
|
296 395
|
364 704
|
399 312
|
14,5
|
13,56
|
14,2
|
14,7
|
14,9
|
Unitarier
|
45 112
|
45 089
|
55 068
|
64 494
|
67 749
|
2,2
|
2,42
|
2,6
|
2,6
|
2,5
|
jüdische Kultusgemeinde
|
15 606
|
11 692
|
29 993
|
53 056
|
64 074
|
0,8
|
0,63
|
1,4
|
2,1
|
2,4
|
Sonstige
|
893
|
893
|
423
|
366
|
611
|
0,04
|
0,05
|
0,2
|
0,0
|
0,0
|
Zwischen den einzelnen Konfessionen erhoben sich starke Trennwände, die jedoch nicht unüberwindbar waren. Um die Jahrhundertwende wurden in Siebenbürgen jährlich 2000 bis 3000 Mischehen geschlossen, immerhin über 10 % aller Eheschließungen. Mischehen gab es natürlich vorwiegend innerhalb einer Nationalität, so war die katholisch-reformierte Mischung recht erheblich. Die Assimilation des zahlenmäßig wachsenden Judentums ging im allgemeinen ohne Konfessionswechsel vor sich. 1880 bekannten sich 44,73 % der Juden als Magyaren, 1900 aber bereits 64,0 %, was darauf hindeutet, daß die Juden – bis auf wenige Ausnahmen – den Weg der Magyarisierung beschritten.
Die wirtschaftlich-gesellschaftlichen Veränderungen in diesen über 50 Jahren führten zu keinen größeren Verschiebungen in der Proportion der einzelnen ethnischen Gruppen. Die Volkszählung von 1850 bestimmte den Anteil der Magyaren im damaligen Siebenbürgen auf 26 % der Bevölkerung. Diese Zahl wurde später amtlich auf 28,2 % korrigiert. Selbst wenn diese Angabe der Wahrheit auch sehr nahe kommen sollte, bedeutete sie auf jeden Fall die denkbar niedrigste Grenze. Die Volkszählung von 1869, nach dem Ausgleich, verzichtete aus politischer Vorsicht auf die Erhebung der Zugehörigkeit zu einer Nationalität, so daß lediglich die Berechnungen des Statistikers Károly Keleti eine Orientierung bieten könnten (er wies 31 % Magyaren, 58 % Rumänen und 11 % Deutsche nach). Die ab 1880 alle zehn Jahre stattfindenden Volkszählungen erhoben dann aber systematisch – formal nicht nach der Nationalität fragend – die Muttersprachenverhältnisse. Obwohl diese Statistik sicher Einseitigkeiten aufwies, so war das Amt für Statistik selbst um Genauigkeit bemüht und versuchte vor allem bei den Zählungen von 1900 und 1910 den Anteil der Magyaren korrekt festzulegen.
In der hier behandelten Periode haben sich alle drei ethnischen Gruppen zahlenmäßig vergrößert, wenn auch die Zunahme der Sachsen bereits lange vor dem Weltkrieg im Grunde stagnierte. Auch in Siebenbürgen hat sich der Anteil der Magyaren – wie im gesamten Habsburgerreich – am schnellsten erhöht. In den letzten drei Jahrzehnten machte ihr Zuwachs 287 740 aus, d. h. 45,63 %, so daß ihr Anteil bis 1910 im historischen Siebenbürgen auf mehr als 34 % angewachsen war. Eine der Ursachen für dieses sprunghaft schnelle Wachstum war die stärkere natürliche Vermehrung der Ungarn. Die Regionen mit niedriger Fruchtbarkeit befanden sich-wie gesagt-vor allem in den vorwiegend von Rumänen und Sachsen bewohnten Gebieten, und ebenso verweist die ungünstige Zuwachsrate der Griechisch-Orthodoxen auf die besondere demographische Lage der Rumänen. Eine Tendenz zum Ausgleich setzt erst in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg ein. (Die natürliche Vermehrung der im ungarischen Staat lebenden Rumänen betrug zwischen 1896 und 1900 5,8 % zwischen 1909 und 1912 10 %.) Auch die Auswanderungswelle belastete in Siebenbürgen die einzelnen Nationalitäten unterschiedlich: Es wanderten weit mehr Rumänen aus als Magyaren; laut offiziellen Angaben verließen Ungarn von 1899 bis 1913 130 000 Rumänen.
559Tabelle 5. Die Bevölkerung Siebenbürgens nach Muttersprache 1850–1910
|
Bevölkerung
|
1850
|
1880
|
1900
|
1910
|
1850
|
1880
|
1900
|
1910
|
Bevölkerung
|
Zivil-
bevölker.
|
Gesamt-
bevölker.
|
Gesamt-
bevölker.
|
%
|
Ungarn
|
585 342
|
488 927
|
630 477
|
806 406
|
909 003
|
28,23
|
26,11
|
30,25
|
32,82
|
34,20
|
Deutsche
|
219 374
|
219 204
|
211 748
|
229 889
|
231 403
|
10,23
|
10,27
|
10,16
|
9,36
|
8,71
|
Rumänen
|
1 202 050
|
1 091 208
|
1 184 883
|
1 389 303
|
1 464 211
|
57,97
|
58,28
|
56,85
|
56,55
|
55,08
|
Slowaken
|
|
|
1 092
|
2 209
|
2 341
|
|
|
0,05
|
0’09
|
0,09
|
Armenier
|
7 879
|
7 372
|
3 450
|
|
|
0,38
|
0,39
|
0,17
|
|
|
Juden/jiddisch
|
6 220
|
11 760
|
|
|
|
0,30
|
0,63
|
|
|
|
Zigeuner
|
52 665
|
77 201
|
48 064
|
|
|
2,54
|
4,12
|
2,31
|
|
|
Sonstige
|
207
|
3 765
|
4 334
|
29 031
|
51 201
|
0,01
|
0,20
|
0,21
|
1,18
|
1,93
|
Insgesamt
|
2 073 737
|
1 872 437
|
2 084 048
|
2 456 838
|
2 658 159
|
100,00
|
100,00
|
100,00
|
100,00
|
100,00
|
560Kurz vor dem Weltkrieg waren die Rumänen nahe daran, den Slowaken und Deutschen den ersten Platz bei der Auswanderung streitig zu machen.
Die Anzahl der Magyaren im gesamten Siebenbürgen wurde zudem geringfügig durch die Assimilation erhöht. Die Juden wurden auch im engeren Siebenbürgen zu Magyaren, ebenso schließlich die Armenier und die einige tausend Tschechen, Polen und Italiener, die durch die Industrialisierung in das östliche Grenzland der Monarchie verschlagen worden waren.
Die sprachlich-ethnische Assimilation wurde in der Blütezeit der nationalen Entwicklung aus einer demographischen und gesellschaftlichen Erscheinung zur wichtigen politischen Frage. Die ethnische Pluralität Siebenbürgens war für jede Nation ein besonderer Grund, um den eigenen Bestand besorgt zu sein bzw. ihn nach Möglichkeit zu vergrößern. Aus dem Abstand nahezu eines Jahrhunderts ist festzustellen, daß es unter den Sachsen und Rumänen keine substantielle Assimilation gegeben hat. Die absolute Zahl der Rumänen stieg sogar im Szeklerland an, doch wurde ein Teil dieses Wachstums gewiß von der Assimilationsbewegung an die Magyaren aufgezehrt. Ein gewisser Raumgewinn der Rumänen bleibt also zu verzeichnen: Bis zur Jahrhundertwende hatten sie im Komitat Küküllő die absolute Mehrheit erreicht und ihr Gewicht in mehreren Komitaten vergrößert. Sie lebten insgesamt in großen geschlossenen Gebieten, gehörten anderen Konfessionen an und unterschieden sich auch in ihrer Gesellschaftsstruktur von den Sachsen und Magyaren, wodurch die Möglichkeit einer Verschmelzung ebenfalls eingeschränkt wurde.
Wegen der Konzentration der kapitalistischen Entwicklung auf die Städte, des ungarischen Charakters der Städte oder ihres hohen ungarischen Anteils bezeichneten die Zeitgenossen die Städte als „Schmelzöfen der Magyarisierung”. Mehr als 90 % der Einwohner des bedeutenden Klausenburg oder des kleinen Oberwinz, mehr als 80 der von Desch, Thorenburg und Sächsisch-Reen sprachen ungarisch. In Schloßberg erhöhte sich von 1880 bis 1890 der Anteil der Magyaren von 37,5 auf 46,9 %, in Karlsburg von 35,3 auf 42,3 %. Die assimilierende Wirkung der Städte war jedoch bei weitem nicht uneingeschränkt. In der oben erwähnten Periode ging beispielsweise die ungarische Bevölkerung Straßburgs von 77,5 auf 71 % zurück. Die breiten Massen der Dorfbevölkerung wurden von der Assimilation kaum erfaßt. Allein schon der relativ niedrige Organisationsgrad der Staatsmacht war ein Garant dafür, daß die kleineren und größeren ethnisch noch ungemischten Siedlungsgebiete nicht gefährdet wurden. Die ungarische Geschichtsschreibung schätzt den Assimilationsverlust des rumänischen Volkes im gesamten historischen Ungarn zwischen 1850 und 1910 auf maximal 100 000 Personen.
Der multinationale Charakter blieb im historischen Siebenbürgen als eine sich auf alle Gebiete des Lebens auswirkende Realität bestehen; das zeigt sich daran, daß in den 50 Jahren des Dualismus das Ausmaß der Kenntnis der ungarischen Sprache bis zum Schluß bescheiden geblieben ist. Von den Nicht-Magyaren bekannten sich 1880 nur 109 190 Personen (7,57 %) und auch 1910 nur 266 863 Personen (15,2 %) dazu, die ungarische Sprache zu beherrschen. Diese Zahlen zeigen die Realität einer tatsächlich entschwundenen Periode: Millionen konnten ihr alltägliches Leben führen, ohne sich die offizielle Sprache ihres Staates angeeignet zu haben.
561Tabelle 6. Stadt- und Dorfbevölkerung nach Muttersprache 1880/1910
|
Jahr
|
Bezeichnung
|
Ungarn
|
Rumänen
|
Deutsche
|
Sonstige
|
Gesamtbevölkerung
|
in 1000
|
%
|
in 1000
|
%
|
in 1000
|
%
|
in 1000
|
%
|
in 1000
|
%
|
1880
|
Stadtbevölkerung
|
104
|
48,6
|
51
|
23,8
|
51
|
23,8
|
8
|
3,8
|
214
|
100,0
|
Dorfbevölkerung
|
526
|
28,1
|
1134
|
60,6
|
161
|
8,7
|
49
|
2,6
|
1870
|
100,0
|
insgesamt
|
630
|
30,2
|
1185
|
56,9
|
212
|
10,2
|
57
|
2,7
|
2084
|
100,0
|
1890
|
Stadtbevölkerung
|
123
|
51,9
|
57
|
24,0
|
50
|
21,1
|
7
|
3,0
|
237
|
100,0
|
Dorfbevölkerung
|
575
|
28,6
|
1220
|
60,6
|
168
|
8,3
|
51
|
2,5
|
2014
|
100,0
|
insgesamt
|
698
|
31,0
|
1277
|
56,7
|
218
|
9,7
|
58
|
2,6
|
2251
|
100,0
|
1900
|
Stadtbevölkerung
|
167
|
55,7
|
72
|
24,0
|
56
|
18,7
|
5
|
1,6
|
300
|
100,0
|
Dorfbevölkerung
|
648
|
29,8
|
1325
|
60,9
|
177
|
8,1
|
27
|
1,2
|
2177
|
100,0
|
insgesamt
|
815
|
32,9
|
1379
|
56,4
|
233
|
9,4
|
32
|
1,3
|
2477
|
100,0
|
1910
|
Stadtbevölkerung
|
204
|
59,0
|
80
|
23,1
|
56
|
16,2
|
6
|
1,7
|
346
|
100,0
|
Dorfbevölkerung
|
714
|
30,6
|
1392
|
59,7
|
178
|
7,6
|
48
|
2,1
|
2332
|
100,0
|
insgesamt
|
918
|
34,3
|
1472
|
55,0
|
234
|
8,7
|
54
|
2,0
|
2678
|
100,0
|
Bemerkung: 1880 wurden die der Sprache noch nicht mächtigen nicht auf die Muttersprachen aufgeschlüsselt; dies geschah erst nachträglich aufgrund der Anteile der einzelnen Muttersprachen
Quelle: Magyar Statisztikai Közlemények. Új sorozat (Ungarische Statistische Mitteilungen, Neue Serie). Bd. 27, 104 und Bd. 42.
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